Ein Neuanfang: Das Maulwurf Kollektiv
„Der Löwe tötet mit seinem Blick. (…). Dann springt er und versetzt seinem Opfer einen Hieb, der es lähmt, mehr vor Überraschung als wegen der Heftigkeit. Dann blickt er es an. Er blickt seine Beute an (…). Das arme Tier, das sterben wird, schaut einfach nur zurück. Es blickt den Löwen an, der es anblickt. Das Tier sieht nicht mehr sich selbst, es sieht das, was der Löwe sieht, es sieht das Bild des Tieres im Blick des Löwen, es sieht, daß es im Blick des Löwen klein und schwach ist.
(…) Aber es gibt ein Tier, das sich nicht so verhält, das den Löwen ignoriert, wenn er sich ihm in den Weg stellt, und das so fortfährt, als sei nichts geschehen, und wenn der Löwe es schlägt, antwortet es mit einem Prankenhieb seiner Pfötchen, die klein sind, aber das Blut, das fließt, schmerzt. Und dieses Tier überläßt sich nicht dem Löwen, weil es nicht sieht, dass es angesehen wird – es ist blind. ’Maulwürfe’ werden diese Tiere genannt.
Der Maulwurf wurde blind, weil er, statt nach außen zu sehen, begann, sein Herz zu betrachten. Er ist einfach dabei geblieben, in sich hineinzuschauen (…). Niemand weiss, wie ihm das in den Sinn gekommen ist. Aber weil dieser Blick eigentlich der Blick der Götter ist, wird gesagt, dass ”die Götter wütend wurden und ihn deshalb für immer unter die Erde verbannt haben.(…) Vergiß nie, daß man den Löwen und die Angst tötet, wenn man weiß, wohin man schauen muß.“[1]
”Der Maulwurf kommt und geht zwischen Tunneln und Stollen, zwischen Grabungen im Boden und Ausbrüchen an die Erdoberfläche, zwischen der unterirdischen Dunkelheit und dem Sonnenlicht, zwischen Geschichte und Politik. Er buddelt sein Loch. Er gräbt und schabt aus. Er trifft Vorbereitungen für die anstehende Krise. Der Maulwurf ist ein weltlicher Messias.”[2]
‘Das Maulwurf Kollektiv’ ist ein Neubeginn, ein neuer Schritt und wird mit einer neuen Stimme in die Gänge gesetzt! Wir setzen uns mit einer Wiedergeburt und den zwei nahe liegendsten Qualifikationen in Gang: kreatives Denken und kreative Aktion – und enthüllen die Zwangsarbeit bzw. Arbeitsstunden, die im Gegensatz zum Menschsein des Menschen stehen.
Den Maulwurf kennt ihr auch persönlich. So wie er in den marxistischen Revolutionen von 1848 gegrüsst hat, so hat er sich uns allen erst gestern im Gezipark, im Arabischen Frühling, in den Besetzer_*innenbewegungen in Europa und den USA gezeigt.
Diese Tage, in denen wir in unsere Privatleben abtauchen, um aus dieser Welt, die uns Kapital, Staat und Nation in den Verstand presst, eine neue Lebendigkeit herauszuholen, sind gleichzeitig Tage, in denen wir aufs Neue herausfinden, wer wir sind und was die Welt ist. Wer kann sagen, dass (in diesen Tagen?) der Maulwurf verloren gegangen ist? Aber es wird versucht, die Wirklichkeiten und Möglichkeiten dieser Tage durch Staats-Kriegs-İdeologie- Apparate zu erpressen und zu ersticken.
Um gegen diesen Druck belastbar und stark zu sein, sehen wir die Notwendigkeit einer gemeinsamen Grundlage, die unsere unterschiedlichen Lebensrealitäten sich gegenseitig berührbar macht. Trotz aufblühender lokaler Widerstände entbehren wir seit Langem einen Pfad des Aufstandes, der gegen den Kapitalismus mit der Beständigkeit einer ganzheitlichen Legitimität gepflastert ist.
İn Verbundenheit mit den unvergleichlichen Zeiten des Aufstandes haben wir vor, auf dieser neu geschaffenen Grundlage das Gefühl von ‘Besiegtwordensein’ der Revolutionsbewegungen auf der Welt und in dieser Region zu beheben und mit einer feurigen Geduld – und einer mindestens gleichwertigen Ungeduld – den Möglichkeiten einer anderen Welt nachzugehen.
İndem der Kapitalismus die Natur, den Menschen, alle Lebenskräfte in sein verödendes Gefüge einverleibt, zerrt er alle Formen von Lebendigkeit in einen Tod ohne Wiederkehr. Aus diesem Grund sind wir davon überzeugt, dass jeder Zentimeter von ”Abweichung” von dieser Kriegsmaschinerie Mensch und Natur einer Befreiung näher bringt. Von dieser Linie eines schweren Todes abzuschweifen bedeutet, den Weg Richtung Menschlichkeit und Natur zu lenken. Deshalb rufen wir dazu auf, das Hoheitsgebiet des Kapitalismus, in dem der Globus, Hügel und Täler mit Brücken und Autobahnen platt gemacht wird, zu untergraben und gegen diese Betonmassen Räume der ‘Perversität’ zu schaffen, in denen wir Luft holen können.
Was hat das ”Maulwurf Kollektiv” vor?
Wir sind davon überzeugt, dass es notwendig ist gegenüber Krieg und den makro-politischen Regimen, die versuchen uns einzunehmen, ein ”Krisen-Bewusstsein” aufrecht zu erhalten. Wie wir aus den Lektionen der uns vorausgegangenen Generationen gelernt haben, wollen wir uns schon jetzt mit den Möglichkeiten der Schaffung eines Prototyps der Welt auseinandersetzen, die unseren eigenen Vorstellungen entspricht. Aus diesem Grund suchen wir nach gemeinsamen Wegen des Kooperativismus, dessen Arbeitsteilung nicht von Seiten des Kapitals bestimmt wird, sondern der auf einer gerechten Gesellschaft beruht. Wir sind davon überzeugt, dass der Erfolg dieser Suche mit dem Einreissen von Privateigentum und (re-)produzierten Ungleichheiten, welche einen inhärenten Teil des Kapitalismus darstellen; mit dem Einreissen der Trennung zwischen geistiger Arbeit und Handwerk, und dem Einreissen gesellschaftlicher Differenzlinien wie Staat, Nation, ‘Rasse’, Geschlechteridentität, Sexuelle Orientierung und Glaube, möglich wird.
Gegen dieses Zeitalter, in dem alles mit Bildern kommuniziert wird und Unwissenheit als Tugend zählt, wollen wir eine Basis von İdeen und Fragen schaffen, um bis an die Grenzen unserer Vorstellungskräfte zu gehen und die Lage, in der wir uns befinden, zu begreifen. Mit Verlagsgenossenschaften, Übersetzungen und Diskursen wollen wir es leichter machen, dass die Prognosen, die aus den Ansichten und Praktiken in anderen Teilen der Erdkugel hervorgehen, diesen Boden erreichen.
Mit den Erfahrungen, die aus den Schritten der Aufstandsgeschichte gemacht wurden, die dafür berühmt ist ”geradewegs auf die Welt loszumarschieren” (Original: İsmet Özel ‘Aynı Adam’), suchen wir als Beitrag zur Schaffung des revolutionären Subjekts, das die zeitgenössische Seele begleitet, nach Wegen einer gemeinschaftlichen Teilhabe, die uns gegenseitig bestärken, weiterentwickeln und auf die Beine bringen.
Von den Kohleminen in Soma bis nach Roboski und Cizre; (hin) zu den Gefängnissen, die mit den verfälschten Lügen der bourgeoisen Rechtsordnung gefüllt werden, die nichts als einen Trick darstellen, um Diebe und Mörder zu begünstigen und in Schutz zu nehmen; (hin) zu den Kindern, die in Heimen Bränden und sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind; (hin) zu den Frauen, an denen die männliche Mentalität Massenmord begeht und die zu Hause einsperrt werden;
Wir sehen, wir wissen, dass es gegen die Kolonialisierung und Desertifikation, die in allen Lebensräumen mit ähnlichen Desinformationen und schmutzigen Mitteln vorgenommen wird, keinen anderen Ausweg gibt als Schulter an Schulter zu stehen! Sowohl das Eröffnen von endlosen Möglichkeiten für die Zukunft, die durch Klassenunterschiede, Schulden und Kredite unter Hypothek genommen wird, als auch die Befreiung der Vergangenheit, die versucht wird mit Verstaatlichung und dem Auslöschen von kollektiver Geschichte und Räumen der Erinnerung ungeschehen zu machen, sind abhängig von den Möglichkeiten dieses Auswegs.
Wir hoffen, dass unser ‘Maulwurf Kollektiv’ für das Potential eines Auswegs mutige Fragen stellen und mit einem Gründeranliegen laufen wird; er ist ein laienhafter Neubeginn: Trotz Angst und dem gesellschaftlichen Verfall jeglichen Ehrgefühls und Menschenwürde, ist er wie das Experiment auf dem angespannten Boden zwischen dem, was ist und dem, was möglich sein kann, nichts anderes als ein neuer Versuch von Freiheitspraktiken. Mit der Aufregung eines laienhaften Neubeginns, mit der Sorge eines möglichen Misserfolges, rufen wir alle geduldigen – ungeduldigen Maulwürfe zur Partizipation auf:
”İndessen die Unerfahrenheit. Die Unwissenheit ist unser Herr. Nehmen Sie einen Stein. Fangen sie an ihn zu schleifen. Sobald er anfängt sich zu formen, werfen sie ihn aus der Hand. Ein anderer Stein, und noch einer. Am Ende lassen sie einen Haufen abgebrochene Formen übrig. Vielleicht gefällt das Jemandem und macht weiter. Aber für jeden Stein, den sie umarmen, ist ihre Kraft, Liebe, Angst neu, frisch. Sie müssen mit der Lust von der Sorge des Misserfolges arbeiten.”[3]
Übersetzung: Köstebek Kolektif
[1] Subcomandante Marcos ‘Der Löwe und der Maulwurf’ 1997: 33-37
[2] Daniel Bensaid ‘Resistances / Die Beharrlichkeit der Revolution’ 2001
[3] Turgut Uyar ‘Efendimiz Acemilik’ 1941